Virnichs Arbeiten entstehen in einem experimentellen Prozess, der die vielfältigen Möglichkeiten erforscht, wie Skulpturen durch Vorgänge wie Dekonstruktion, Umkehrung und Kombination Gestalt annehmen. Der Künstler bietet dem Betrachter eine neue Sicht auf die Dinge: durch das Umstülpen der Skulpturen wird das Innere zum Äusseren, und umgekehrt, was eine besondere Wahrnehmungsweise der Arbeiten erzeugt. In der Galerie Buchmann Lugano wird die neue Skulptur Mailänder Dom aus glasierter Keramik gezeigt. Auch in diesem Fall dienen dem Künstler architektonische Formen und seine Italienreisen als Inspiration für eine persönliche Interpretation des Mailänder Doms, in der konkave und konvexe Formen eine ungewöhnliche Sicht auf das berühmte Bauwerk hervorbringen.
Die Galerie Buchmann in Lugano zeigte im November 2016, das Werk Mailänder Dom des deutschen Künstlers Thomas Virnich
1. Mailänder Dom
Auf meiner Durchreise von Florenz über Mailand nach Zürich erwarb ich in den 90-iger Jahren 1 hölzernes Mailänder Dom Modell. Beeindruckt von der Aura des Mailänder Doms wollte ich mir eine Außenskulptur passend auf den Ecksockel der Ziegelsteinauer meines Wohnhauses in Mönchengladbach bauen. Ich wählte Keramik als Werkstoff für die wetterfeste Skulptur und war überrascht von den Eindrücken der Formen. So gesehen gestaltete ich Fensterformen, Türen, Treppen, Säulen, etc. als Stempel, die ich in die frischen, weichen Tonplatten eindrückte und formte die großen Flächen zu geschlossenen Tonkörper -Architekturen, – Wand- und Dachflächen im gleichen Rhythmus bedruckt. Diese 1. Arbeit hast Du in Tony Craggs Foundation in Wuppertal gesehen.
Für Deine Ausstellung in Lugano habe ich den 2. Mailänder Dom konzipiert, der auch ohne Sockel direkt als höhere Bodenarbeit in deinem Raum funktionieren kann, zweiteilig, blockartig aufeinander bezogen, eine Gasse bildend, eng aneinander gegenüber gestellt. So sieht man von oben und von den Seiten die Abdrücke der Formen als Positiv und Negativabdruck zusammengehörig. Es wird vorstellbar, dass sich theoretisch dieses „Duett“ mit weiteren Dom-Skulpturblöcken an den Außenseiten im Abdruckverfahren fortsetzen könnte. An diese imaginären Fugen könnte sich der nächsten Block anschließen ; ( so wie sich die Gebäude oft vom Zentrum einer bedeutenden mittelalterlichen Kathedrale kreisförmig ausbreiteten und den Stadtkern begründeten.)
Zur Farbgestaltung entschied ich mich für weiße Glasur, die die Textur der reliefartigen Wände am besten unterstreicht, so dass es zufällige Andeutungen von Gesichtern , Fratzen und Bildern zulässt. Die dunklen Schatten der Fensterrahmen und Treppenstrukturen vertiefen ihre Zeichnung in die weißen Wandtafeln. Meine Gravuren deuten Zeichen und lesbare Schriftbilder an. Insofern waren damals die riesig gestalteten Fensterbilder des Mailänder Doms mit ihren ausgemalten Bibelszenen für die vorwiegend analphabetische Bevölkerung als Wissensvermittlung relevant. Ganz zufällig ergibt sich aus meiner Arbeitstechnik des Eindrückens originaler Modellbauelemente des Mailänder Doms bedeutungsvoller Inhalt. So unbeabsichtigt aufgrund der Wirkung der weißen Zuckerguss- Glasur erinnern die floralen Abdrücke der Strukturen auch an weiße Spitzendeckchen und Klöppelarbeiten.
2. “ 8 Spitzen, Mailänder Dom “ , in seiner kompakten Form gesehen als Blüte
Das Oktogon des Mailänder Doms in 8 verschiedene Teile zersägt. Jedes der 8 Segmente mit 1 Umrissfigur aus der Spitze versehen. Jeder Schnitt der 8 Kernstücke variiert und formuliert einen anderen Abstand zum Hohlraum. Daraus ergeben sich verschieden geformte Elemente. Diesen imaginären Raum umformte ich sichtbar mit Pappmache´ und Leinen. Die einzelnen Formen finden ihre Zuordnung auf 1 Grundsockel, auf den sie zusammengesteckt das kuppelartige Oktogon bilden. Die helle zarte Farbgebung unterstreicht den Blütenkelch – Charakter der Skulptur. An ihren Spitzen erkennen wir auch im Schattenbild an der Wand tanzende Figurensilhouetten zum Abschluss.
Ulrike Schröter